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Einladung nach São Paulo

Anfang April 1975 erhielt Thesi von Werner durch ihre englischen Bekannten eine Einladung, am 4. Mai 1975 in São Paulo, Brasilien, an einem internationalen Rennen für Rennreiterinnen teilzunehmen. Da sie das geforderte Mindestgewicht in der zur Verfügung stehenden Zeit nicht schaffen konnte, gab sie diese herrliche Einladung an mich weiter.
Brasilien! Eben mal zum Rennreiten nach São Paulo! Das klang traumhaft, und so war die Reise auch.

Am 30. April flog ich von Köln aus über Frankfurt, Dakar und Rio de Janeiro in 17 Stunden zur fünftgrößten Stadt der Erde. Da durch ein Missverständnis der dortigen Lufthansa meine Ankunft erst für den 2. Mai avisiert worden war, erwarteten mich weder der angekündigte Wagen noch der versprochene Dolmetscher, was später in den Zeitungen als große Panne dargestellt wurde. Als ich schließlich von einer Angestellten des Jockey Clubs abgeholt und in einem Hotel in der Innenstadt abgesetzt worden war, traf ich dort bereits drei schwedische Reiterinnen, die sich gerade auf den Weg ins Fernsehstudio machten, und die brasilianische Berufsreiterin Suzana Davis, die von Fotografen und Journalisten umringt war. Edith de Brétizel aus Frankreich, die englische Meisterin Brooke Sanders und die in England lebende Irin Susan Hogan vergnügten sich zur selben Zeit mit ihren Dolmetschern und Chauffeuren am Strand von Guaruja, etwa zwei Autostunden von São Paulo entfernt. Patty Barton, die erfolgreiche Jockette aus West Virginia, wurde erst für Sonntag früh erwartet, während die kleine Chilenin Fresia Garcia bereits seit mehreren Tagen die großzügige Gastfreundschaft des Rennvereins von São Paulo genoss. Auf einem ersten Bummel durch die Zehnmillionenstadt lernte ich das südliche Getöse schon ein wenig kennen, doch verschob ich die nähere Bekanntschaft erst einmal auf die folgenden Tage.

Am nächsten Morgen sollte nämlich schon früh das Training auf der Rennbahn beginnen, zu dem ich von meiner reizenden deutschen Dolmetscherin, die seit 26 Jahren in Brasilien lebt, und einem nur portugiesisch sprechenden Fahrer abgeholt wurde. Nach ungefähr 10 Minuten Fahrt erreichten wir die Bahn, wo wir von einem unvorstellbaren Gewimmel von Pferden und Menschen umgeben wurden. Unzählige Leute stellten sich vor, immer wieder wurde ich als Jocketa alemã hin und her geschoben. Endlich kam auch der Trainer, für den ich reiten sollte. Ob ich mit oder ohne Sattel reiten wollte? Was für eine Frage. Im Ausland mit dem Galoppieren ohne Sattel anfangen? Nein, lieber nicht, auch wenn es bei den einheimischen Reitern so wunderbar leicht und elegant aussieht.

Die Order wurde mir einfachheitshalber nicht von meiner Dolmetscherin übersetzt, die zum ersten Mal in ihrem Leben eine Rennbahn betreten hatte und daher die Rennsportsprache überhaupt nicht verstand, sondern kam von einem englisch sprechenden Rennmann: Mittlere der drei Sandbahnen, 200 m in Gegenrichtung traben, umdrehen, 900 m ruhigen Kanter und vom 800 m-Pfosten an treten lassen. Eine Schimmelstute wurde auf mich zugeführt, eine dicke Schaumgummidecke und ein Pfundsättelchen mit superkurzen Bügeln und Gummigurten auf dem Rücken. Es war ein prächtiges Gefühl, auf diesem Pferd zu sitzen. Eigenartig, daß meine Stute nicht nervös umdrehte oder aufgeregt absprang, bei all den Pferden, die ihr galoppierend entgegenkamen, sie kreuzten und umkreisten.
Danach ein ähnlich angenehmer Ritt mit ähnlicher Order und dann ein dritter: "meine" Stute Jingás, die ich am Sonntag reiten sollte. Bei diesem Galopp ging ein Begleitpferd besserer Klasse mit, und die Order lautete, die Stute auf den letzten 800 m auszureiten. Die gestoppte Zeit von 0:48,7 war, verglichen mit anderen an diesem Morgen gestoppten Zeiten, hervorragend und stimmte Trainer, Besitzer und Begleitung entsprechend optimistisch.

Um 11 Uhr unser Aufbruch zu einer Fahrt ins 120 km entfernt gelegene Campinas, wo auf dem Gestüt des Jockey Clubs mit Freunden und Bekannten ein gemütliches Barbecue-Essen veranstaltet und in Begleitung von Fernsehkameras und Pressefotografen die Deckhengste vorgeführt wurden. Nach der morgendlichen Zeitungslektüre hatte ich Essen leider von der Liste meiner Beschäftigungen weitgehend streichen müssen. Statt der angekündigten 58 kg sollte das Gewicht nun 56 kg betragen, ein schwieriges Unternehmen nach einem erst vor kurzem beendeten halbjährigen Faulenzer- und Genießerleben in Nordamerika.

Am Freitag früh wieder das Training in der für mich noch immer faszinierenden und verwirrenden Atmosphäre, u. a. mit einer Abspringübung aus den Startständen zusammen mit zwei anderen Pferden. Ha, das machte richtig Spaß, da als erste aus der Startbox rauszukommen.
Ich hatte mir eine bunte, leichte Sturzkappe für das Training gekauft, da es Pflicht war, auch in der Morgenarbeit Kappen zu tragen und die englischen Helme einfach zu schwer und zu warm waren.

Nach dem Training stattete ich dem Sekretariat des Jockey Clubs einen Besuch ab, der bis mittags dauerte. Außer, daß mir viel über die Organisation des brasilianischen Rennsports erzählt wurde, erhielten wir die freudige Mitteilung, dass wir am Montag nach den Rennen auf Kosten des Rennvereins nach Rio de Janeiro fliegen dürften! Daraufhin wurden nachmittags nach einem Live-Interview im Fernsehen gleich die Tickets gekauft, mein Rückflug nach Europa für Mittwoch festgesetzt, für Dienstag eine (private) Flugreise nach Brasilia eingebaut und zwischendurch auf einem der höchsten Wolkenkratzer von São Paulo Kaffee getrunken. Es war echt witzig, wie selbst der Ober einen als Jocketa alemã erkannte und all die Fernsehinformationen und Zeitungsberichte bestätigt haben wollte. Abends führte uns der Organisationsleiter in eines der besten, original brasilianischen Restaurants, wo wir in einem kostbar dekorierten Saal nie gehörte Speisen kennenlernten.

Der Samstagmorgen sah uns wieder alle beim Training, wo ich mir bei zwei 1400 m-Galopps auf Sand nach der Uhr und mit "Ausquetschen" den letzten Schliff holte. Anschließend folgte ein ausgiebiger, erfolgreicher Saunabesuch, wobei man ein wenig neidisch an die Möglichkeiten des brasilianischen Rennvereins dachte, der seinen weiblichen Angestellten sogar eine eigene Sauna einrichten konnte. Ab Mittag waren wir als Zuschauer des Meetings wieder auf der Rennbahn, wo uns zwischen den Hauptrennen durch einen der Direktoren feierlich Erinnerungsringe und Plaketten überreicht wurden

Am Sonntag dann früher Aufbruch durch verstopfte Straßen. Die Parkplätze bereits überfüllt. Nicht nur wegen unseres Rennens, sondern auch wegen der großen Parade in der Stadt und wegen des erwarteten Besuches des Staatspräsidenten. Der Präsident von Brasilien ließ es sich nicht nehmen, "seinem" Großen Preis beizuwohnen.
In der Nähe des Führrings befanden sich unsere Umkleideräume mit einer Aufsichtsperson und verschließbaren Schränken. Die Verteilung der Sättel, das Auswiegen usw. klappte wie am Schnürchen, der Aufgalopp 25 Minuten vor dem Start fand unter dem Jubel und den aufmunternden Rufen der Zuschauermenge statt.
Das Rennen selbst lief für mich so gut, daß ich die Order bis in die Distanz bis auf jedes i-Tüpfelchen befolgen konnte. Nur bei "mit Speed kommen und gewinnen" machte "Jingas" nicht mehr mit. Das fünfte Platzgeld war für die Besitzer jedoch mehr als ein Trostpflaster.

Nach unserem Rennen irrten wir etwas verloren durch die überfüllten, zum Teil abgesperrten Tribünen und suchten vergeblich nach einem Sitzplatz.
Die Flaggenparade auf dem Geläuf, bei der die deutsche Fahne dem brasilianischen Alphabet entsprechend gleich hinter der des Gastlandes erschien, war beeindruckend, auch wenn die Posaunenbläser nicht ganz aufeinander abgestimmt waren. Die restlichen Rennen verfolgten wir schließlich vom hohen Tribünendach aus, wo die Rennleitung einen Empfangssaal eingerichtet hatte und von dem man einen atemberaubenden Ausblick hatte.

Das Abschiedsessen mit meinem Trainer zog sich bis in den Morgen, die Abschiedstour durch den Jockey Club dauerte Stunden, das Abschiedskomitee, das mich zum Flugplatz brachte, war rührend und mit vielen Mitgliedern erschienen und mir fiel es schwer, São Paulo zu verlassen.

Es war eine prächtige Reise!

(Mai 1975)



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